„Derfrogg und Gfundn“

Es gibt in nahezu jedem Fernsehgerät, das nicht viel älter als vierzig Jahre alt ist, ein winzig kleines elektronisches Bauteil, das es über die Jahrzehnte extrem hartnäckig geschafft hat, sich jeglicher technologischen Weiterentwicklung oder gar Abschaffung zu entziehen. Mit diesem Bauteil kann man den sogenannten „Videotext“ empfangen, der Anfang der Achtzigerjahre eingeführt wurde und dieser anachronistische, grobpixelige Redaktionsdienst erfreut sich in bestimmten Kreisen offenbar noch immer einer gewissen Beliebtheit.

Denn manchmal sieht man einen Facebook Post, bei dem jemand einen Videotextinhalt direkt von seinem TV abfotografierte, um ihn dann anschließend via Handy oder wie auch immer im Internet zu veröffentlichen. Darauf muss man erst einmal kommen!

   Die Anrufer bei „Derfrogg und Gfundn“ würden dies sicherlich nie tun, denn Smartphone, Internet, aber auch Videotext oder nur Kleinanzeigen in der Lokalzeitung wären ihre Sache wohl eher nicht.

Es gibt beim Radio von RAI-Südtirol tatsächlich noch eine sehr schräge Retro-Sendung, die einem den Eindruck vermittelt, als ob einen eine Zeitmaschine direkt in die Ära der Volksempfänger zurückkatapultiert hätte.

Einmal in der Woche, an jedem Dienstagabend immer so ab ca. 18:05 Uhr können Zuhörer 90 Minuten lang bei „Derfrogg und Gfundn“ live in der Sendung anrufen, um entweder etwas zu suchen, dieses dann gegen irgendetwas anderes zu tauschen oder auch einfach nur, um sich von etwas sehr Nervigem zu entledigen, was sie dann euphemistisch „Verschenken“ nennen.

   Die Anrufer werden zwar anonymisiert, das heißt ohne Nachnamen angesprochen, aber wenn „Frau Lucia aus Kortsch“ vom Moderator begrüßt wird, um 200 Pfauentauben (was es nicht alles gibt!?) loszuwerden, dann dürfte jedem im Ort sofort klar sein, wer da gerade spricht, sofern sie Lucia nicht sowieso schon gleich an der Stimme erkannt haben.

   Die Hörer sprechen allesamt breitesten Hardcore Dialekt und es kann gut sein, dass „Herr Alois aus Mals“ gerade kaum verstehen konnte, welches Anliegen „Frau Cäcilie aus Luttach“ dem Moderator vorgetragen hat. Denn beide leben – nach eigenem Empfinden – in völlig unterschiedlichen Lebenswelten, weil in weit voneinander entfernten Tälern und warten wohl schon einige Zeit darauf, dass der Herrgott sie irgendwann zu sich rufen möge.

   Die Qualität mancher Telefonverbindungen hat nicht selten Nachkriegscharakter, wobei hier aber eher Weltkrieg I als Weltkrieg II gemeint ist, was aber wiederum mit den Geburtsjahrgängen der Zuhörerschaft korrelieren dürfte.

In den damaligen, längst vergangenen Zeiten des furchtbaren Mangels waren Tauschgeschäfte an der Tagesordnung und seinerzeit meistens überlebensnotwendig. Interessanterweise greift „Derfrogg und Gfundn“ gerade dieses archaische Handelsprinzip des geldlosen Tausches wieder auf, denn bezahlt wird hier vorwiegend in Naturalien, jedoch niemals in Reichsmark, Lire oder gar Euro.

   Gegen ein paar Gläser Honig, einen Sack Walnüsse oder einiger selbstbemalter Steine von Tante Hedwig gibt’s dann eine gebrauchte Matratze, einen alten Holzofen oder den nostalgischen Rollator und man weiß bei der spontanen geldwerten Abwägung der Handelsbilanz, die sicherlich jeder zwangsläufig innerlich vollzieht, gerade nie, wer hier gerade wen übervorteilt.

   Der Moderator Roland Leitner spricht mit einer wunderschönen Singsang-Stimme im feinen, sehr gut verständlichen Südtiroler Dialekt und er ist wahrlich mit einer himmlischen Engelsgeduld gesegnet. Ungefähr so, wie der barmherzige Altenpfleger in der seelsorgerischen Kommunikation mit seinen hochdementen Patienten in der Endstation. Er wird dabei nie laut oder ungehalten oder gar aufbrausend, wenn seine Anrufer ab und an die absurdesten Produktangaben in die Sprechmuschel fabulieren und dabei verfügt er über ein erstaunlich breites Allgemeinwissen.

Leitner scheint ein exzellenter Kenner vieler regionaltypischer Erzeugnisse, sei es handwerklicher, landwirtschaftlicher oder technischer Art zu sein. Da die Anrufer verständlicherweise oft aufgeregt sind und meist nicht so recht wissen, was sie sagen sollen, hilft er oft unterstützend bei den Produkterklärungen oder Tauschbegehren und manchmal dichtet er auch einfach etwas dazu, wenn’s denn hilft.

   Ab und zu rufen Zuhörer an, und beschweren sich zunächst recht angesäuert darüber, dass sie schon „so oft“ die Nummer des RAI-Hörertelefons wählen mussten, bis sie „endlich“ durchkamen. Und während sie sich so wehleidig beklagen, erscheint einem im eigenen Kopfkino ein schwarzer Wählscheibenapparat des Haustelefons aus den Sechzigerjahren, an dem sich wohl gerade eine bedauernswerte, hochbetagte Seniorin den Zeigefinger wund gewählt haben muss.

   Vielleicht kommen solche furchtbaren kriegerischen Chaoszeiten – wie seinerzeit – ja irgendwann wieder, mag sich die Kaiser- und Führertreue Hörerschaft von „Derfrogg und Gfundn“ möglicherweise hin und wieder fragen? Diese ganz schlimmen Zeiten, in denen Münzen und Scheine von heute auf morgen schlagartig ihren Wert verlieren können, was sie ja alles schon einmal erlebt hatten!

   Und dann wären sie plötzlich die Kings in der Südtiroler Provinz, denn sie sind schon längst Profis beim bargeldlosen Tauschhandel und die Jungen werden dann ganz schön blöd durch die Finger schauen.
Denn die kennen ja noch nicht einmal Videotext!

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Wieso Unrecht?

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Der Südtiroler Heimatbund provoziert zum Gedenken an den Waffenstillstand mit der Installation einer Skulptur. Aber ergibt Minus mal Minus in dem Fall wirklich Plus?

Wenn Anfang November 2018 die Völker Europas der Beendigung des Ersten Weltkrieges feierlich und würdevoll gedenken, dann sind diese Tage nicht für alle ein Grund zum Jubeln. „Österreichische“ Nationalisten, die sich unter der Tarnkappe von Südtiroler Heimatbund, Süd-Tiroler Freiheit etc. als Patrioten camouflieren, haben sich für Bozen am 04. November eine ganz spezielle Aktion einfallen lassen:
In Sichtweite des Bozener Siegesdenkmals, einem (nicht nur aus kunsthistorischer Sicht) wirklich grässlichen Architekturmonstrum aus den 1920ern, installiert man nun eine weitere Scheußlichkeit und versucht dadurch nun nicht nur charakterlich, sondern auch gestalterisch mit den Faschisten gleichzuziehen.

Siegesdenkmal Bozen

Siegesdenkmal Bozen

Dornenkrone Lang,Klotz

Dornenkrone mit Eva Klotz und Roland Lang am 04.11.2018

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Eine überdimensionale „Dornenkrone“ aus Metall soll nach Darstellung von Roland Lang, dem Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), mit seinen hundert Stacheln die Dauer der „Fremdherrschaft“ symbolisieren.

Es ist eine entlarvende Sprache, derer sich die Österreich zugehörig fühlenden Nationalisten mit italienischem Ausweis stetig befleißigen. Ihr heikles Vokabular insistiert Revanche und man liest und hört sehr oft Worte wie „Fremdherrschaft“, „Freiheitskampf“ oder auch „Unrecht“ im Zusammenhang mit dem Kriegsende.

Zum Kriegsbeginn hört man von Lang, seinen Gesinnungsgenossen und Förderern erstaunlicherweise wenig bis gar nichts. Dem Autor dieses Textes ist zumindest nicht bekannt, dass Roland Lang, Eva Klotz oder Elmar Thaler am 29. Juli 2014 nach Belgrad gefahren wären, um dort einen Kranz für die ersten Opfer der österreichischen Aggression durch den k.u.k.- Artilleriebeschuss auf die serbische Hauptstadt abzulegen. Hätten sie aber besser mal tun sollen, denn an diesem Tag ist die eigentliche Ursache für die Teilung Tirols zu finden.

Strategie der „österreichischen“ Nationalisten: Geschichtsverkürzung und Pflege des Opfermythos‘.
Dass in Wien und Berlin die Hauptverantwortlichen für den Beginn des Ersten Weltkrieges zu finden sind, blieb auch nach dem Erscheinen von Christopher Clarks viel diskutiertem Werk „Die Schlafwandler“ im Jahr 2014 für seriöse Historiker unstrittig. Für Südtiroler Geschichtsreduzierer beginnt der Krieg aber sowieso meist erst am 23. Mai 1915, als nämlich Italien bei diesem Flächenbrand nun leider auch noch ordentlich mitmischt, nachdem es sich zuvor in diplomatischen Hinter- und Vorderzimmern die größtmöglichen Geländegewinne hat zusichern lassen.

So etwas nennt man Eigendynamik eines Krieges,
denn da war der Krieg nun halt schon einmal längst im Gange und Italien hätte im Jahr 1914 niemals Österreich-Ungarn angegriffen, was aber meistens auch einfach gerne verschwiegen wird. Es bedurfte schon des österreichischen Angriffskrieges im Juli 1914 auf seine Nachbarn auf dem Balkan und, nicht zu vergessen, die fahrlässige deutsche Rückendeckung mit dem aberwitzigen Blankoscheck, um Italien knapp ein Jahr später überhaupt in die Lage zu versetzen, in den Krieg einzutreten.

Tirol wäre heute noch (aller Wahrscheinlichkeit nach) eine geeinte Region,
wenn unsere deutschen und österreichischen Vorväter seinerzeit nicht – besoffen von Nationalismus und völkischer Arroganz – ohne Not ihre Nachbarn überfallen hätten. Deutschland und Österreich waren 1914 Täter und keine Opfer!

Das wird von den rot-weiß-roten Superpatrioten, die 2018 am Bozener Siegesplatz nun mit einer „Dornenkorne“ um Aufmerksamkeit heischen, entweder verdrängt oder (je nach Grad der nationalistischen Radikalität) negiert. Für sie zählt ausschließlich das Ereignis der Annexion im November 1918. Was jedoch ursächlich zu dieser Eingliederung geführt hat, wird meist komplett unter den Teppich gekehrt und jegliche Wallung beschränkt sich auf den italienischen Faschismus der Nachkriegsjahre.

Um nicht missverstanden zu werden: Was Mussolini später dann in Südtirol an Leid und Schrecken über die Bevölkerung gebracht hat, war furchtbar, entsetzlich und muss aufs Schärfste verurteilt werden!

Es muss aber auch berücksichtigt werden, dass es Mussolini, Hitler, die Deutsche und die Tiroler Teilung und vieles, vieles an Elend mehr überhaupt nicht gegeben hätte, wenn sich die beiden deutschen und österreichischen Kaiser Wilhelm II. & Franz Joseph I., deren beide Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg & Berchtold und die vielen, vielen Militärführer u. a. Moltke (d. Jüngere) & Franz Conrad von Hötzendorf im Juli 1914 verantwortlich und pazifistisch verhalten hätten und NICHT auf den Kriegsknopf gedrückt hätten, denn die Macht dazu hätten sie gehabt.

Sie haben sich aber alle leider nicht pazifistisch verhalten, weil sie sich (oft schon Jahre zuvor) für den Krieg entschieden hatten. Sie haben zielstrebig darauf hingearbeitet, nur auf den richtigen Moment gewartet, um endlich losschlagen zu können bzw. haben alle viel zu wenig dafür getan, um den Krieg zu verhindern (je nach individueller historischer Einordnung und Interpretation der geschichtlichen Fakten) und das Ergebnis müssen wir heute leider immer noch alle ausbaden. Auch in Südtirol.

Wann gibt’s denn hier nun endlich wirklichen Frieden?

Der Verfasser dieser Zeilen ist pazifistisch eingestellter, gläubiger evangelischer Christ und als Protestant demzufolge nur peripher mit den katholischen Sitten, Bräuchen und Vorgaben vertraut. Dass aber sowohl der von Patrioten permanent strapazierte „Stolz“ eine der sieben Todsünden ist, wie auch der Missbrauch eines so zentralen christlichen Symbols wie Jesus‘ Dornenkrone eine erhebliche Verletzung religiöser Gefühle darstellt, sollte doch eigentlich allen bewusst sein, selbst Agnostikern.

Deshalb darf – ja muss – die Frage gestellt werden, inwieweit die Initiatoren der „Dornenkronen“-Aktion sich nicht nur politisch, sondern auch geistlich völlig außerhalb des akzeptablen Rahmens bewegen? Ja, ob sie nicht sogar als Feinde des Friedens, der Demokratie, der Kirche und auch als Feinde des bürgerlichen Gemeinwesens angesehen werden müssen? Denn diese Provokation geht weit über das erträgliche Maß hinaus und hätte auch mit Satire nichts zu tun, sollte irgendjemand sie jemals dazu verklären wollen. (Und Roland Lang ist ja eigentlich eher dafür bekannt, zum Lachen nicht zwingend das Erdgeschoss zu benutzen und wird sicherlich auch nicht als Chefhumorist in die Südtiroler Annalen eingehen; aber das nur nebenbei.)

Eine Volksabstimmung über die Frage der Selbstbestimmung ist längst überfällig. Als Ausländer, der in einem RICHTIG geteilten Land aufgewachsen ist, durchzuckt es einen regelrecht, wenn man die Sprache und die Aktionen derjenigen Südtiroler analysiert, die vorgeben, volkstümlich zu sein und sich angeblich lediglich für die Heimat und ihre Wiedervereinigung einzusetzen.

Wenn man im Rückblick versucht zu würdigen, was zum Fall der Berliner Mauer entscheidend beigetragen hat, dann war das vor allem die Besonnenheit der demonstrierenden DDR-Bevölkerung („Keine Gewalt!“), die von einer intellektuellen und pazifistischen Elite der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung der DDR (z. B. „Neues Forum“) ermutigt, gestützt und getragen wurde.

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Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“ (Aufnahme vom Sep. 1989)

Diesen feinsinnigen, intellektuellen Geist muss man den Aktionen von SHB & Co. leider komplett absprechen, denn sie zielen nur auf Krawall, Hetze und das Schüren antiitalienischer Ressentiments.

Dabei ist es eigentlich überfällig, dass dem Wunsch dieser Kreise nach Selbstbestimmung endlich Rechnung getragen wird. Man sollte abschließend – besser schon am nächsten Dienstag als erst am Donnerstag – eine Volksabstimmung aller in Südtirol und Nordtirol lebender Wahlberechtigten abhalten, um über die Zukunft Tirols abstimmen zu lassen. (Wobei es äußerst wahrscheinlich ist, dass sich die Mehrzahl der Wähler für die Beibehaltung des derzeitigen Status quo mit Ausbau der Autonomie aussprechen würde.)

Aber dann wäre wenigstens final Ruhe in der Provinz und die Berufsstänkerer, egal ob rot-weiß-rot oder grün-weiß-rot könnten sich endlich den wahren Problemen dieser Welt zuwenden, anstatt unendlich sinnlos Energie mit nationalistischen Belanglosigkeiten zu verschwenden.

Ein erster Anfang wäre es, einmal anzuerkennen, dass die derzeitige Zugehörigkeit Südtirols zu Italien kein Unrecht darstellt, sondern schlicht ein Kriegsergebnis ist! Ein Kriegsergebnis eines Krieges, den man dazu noch selber vom Zaun gebrochen hat. Das wäre wirklich mal ein Anfang.

Es wird aber vermutlich noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte brauchen, bis man die Gelassenheit erreichen und die Weisheit erlangen wird, um mit der Geschichte klug umzugehen. Die Installation einer „Dornenkrone“ ist das Gegenteil von Weisheit und absolut nicht dazu geeignet, Frieden zu stiften. Aber das war sicherlich auch nicht die Absicht der Initiatoren.

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NACHTRAG vom 05.11.2018:

RAI Morgengespräch vom Montag, den 05. November 2018 um 07:15 Uhr zum Thema „Dornenkrone“ mit Hannes Obermair und Eva Klotz; Moderation Peter Treibenreif.

RAI-Südtirol Morgengespräch (05.11.2018): „Dornenkrone“ (H. Obermair und E. Klotz), von RAI Südtirol

Redaktionstext der Seite von RaiNews.it:

„In der Debatte um das Ende des Ersten Weltkrieges prallen die Ansichten aufeinander:
Im Morgengespräch auf Rai Südtirol bewertete der Historiker Hannes Obermair die Dornenkrone des Heimatbundes als „Amoklauf des Geschichtsrevisionismus“.
Mit dem Herumtragen der Dornenkrone werde versucht, eine alte Opferthese zu zementieren.

Die frühere Landtagsabgeordnete Eva Klotz dagegen sprach von einer Geschichtsleugnung und einer 100-jährigen Demütigung. „Das ist für mich jeden Tag ein Stachel“, sagte sie und betonte, dass es die Welschtiroler gewesen seien, die Dornenkrone angefertigt und „nicht von ungefähr“ vor dem Siegesdenkmal in Bozen niedergelegt hätten.“

Link zur Sendung: https://www.rainews.it/tgr/tagesschau/articoli/2018/11/tag-Dornenkrone-Geschichte-Erster-Weltkrieg-acc3c3f4-0dc5-4679-b82b-9142015b7d96.html

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So was kommt von sowas.

Sowas - Kurz

Weshalb kann man mit einer Autobahn eigentlich so unfassbar viel Geld verdienen, ohne gleichzeitig seiner Sorgfaltspflicht zwingend nachkommen zu müssen?

Als vor drei Jahren die islamistischen Terroranschläge in Europa vor ihrem Höhepunkt standen, kursierte in Insiderkreisen des Bauingenieurwesens ein böser und niederträchtiger „Gag“:

Die IS-Attentäter müssten sich doch eigentlich gar nicht so viel Mühe machen, da in naher Zukunft einstürzende Brücken bzw. andere marode Infrastrukturen viel mehr Tod und Leid über die Bevölkerung bringen würden und den IS-Kämpfern damit viel Arbeit abnehmen würden, weshalb diese sich dann eigentlich auf das Verschicken von Bekennerschreiben beschränken könnten.

Es ist seit mehr als zwei Jahrzehnten bekannt, dass sich der Pfusch am Bau der Sechziger- und Siebzigerjahre nun nach einem knappen halben Jahrhundert gnadenlos rächen wird. Was sich gestern in Genua ereignet hat, war eine Katastrophe mit Ansage, vorhersehbar und damit durchaus vermeidbar. Die vielen eingeweihten Statiker dürften gestern Nachmittag beim Beruhigungsversuch in der deutschen ARD-Tagesschau wahrscheinlich wiederum schallend gelacht haben, als die interviewten Expertendarsteller die ahnungslosen Zuschauer mit Beschwichtigungs-Blablabla in Sicherheit wiegen sollten.

Was sich gestern in Genua ereignet hat, war eine Katastrophe mit Ansage, vorhersehbar und damit durchaus vermeidbar.

Deshalb gibt es mehr Grund zu Beunruhigung als zur Beruhigung, denn auch in Deutschland ist ca. jede achte Brücke in einem derart desolaten Zustand, dass sie umgehend entweder abgerissen und ersetzt oder zumindest grundsaniert werden müsste. Was aber wiederum Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe bedeuten würde und somit mit dem Regierungsziel „Schwarze Null“ der Großen Koalition unvereinbar wäre. Dass ein Zusammenbruch eines Brückenteilstückes wie in Genua in Deutschland nicht befürchtet wird, liegt natürlich auch daran, dass solch spektakuläre Bauten – wie die Morandi-Konstruktion – nördlich des Brenners eher unüblich sind.

Der filigrane Entwurf des römischen Ingenieurs und Architekten Riccardo Morandi muss sicherlich im historischen Kontext des Kalten Krieges bewertet werden, als sich die Machtblöcke technisch zu übertrumpfen versuchten. Die italienischen Brücken- und Straßenbauprojekte waren sozusagen das Weltraumfahrtprogramm des Kleinen Mannes. Der an und für sich völlig langweilige Baustoff Stahlbeton wurde seinerzeit durch immer waghalsigere Experimente geometrisch und technologisch bis an seine Grenzen ausgequetscht.

Wird Stahlbeton konservativ eingesetzt und richtig verarbeitet, ist er prinzipiell ein Baustoff für die Ewigkeit. Wird Stahlbeton bzw. Spannbeton hingegen so eingesetzt wie in Genua, dann ist der Kollaps zwar nicht zwingend vorprogrammiert, die Brückenkonstruktion unterliegt aber einem immensen Wartungsaufwand, der das Bilanzergebnis eines marktwirtschaftlich agierenden Unternehmens, wie es die italienische Autobahngesellschaft nun einmal ist, nicht unerheblich schmälern kann.

Insofern sollten sich alle Staaten grundsätzlich einmal die Frage stellen, ob Bau, Betrieb und Unterhaltung von (öffentlichen) Autobahnbrücken wirklich gut dazu geeignet sind, die Taschen von Benetton & Co. noch voller zu stopfen, als sie sowieso schon sind?

Charlie Hebdo

Fake, aber treffend: Karikaturist „Ghisberto“

Deutschland hat im Jahr 2017 – entgegen allen Warnungen – sogar das Grundgesetz (!) geändert, um die Privatisierung des deutschen Autobahnnetzes in Zukunft zu ermöglichen. Da Deutsche Bank, Allianz und Co. das klassische Geschäftsmodell nämlich nach und nach wegbricht, möchte man hier jetzt schon vorsorgen, wenn deren Kasse irgendwann einmal nicht mehr so stark klingelt und da drängen sich einem Autobahnen als Goldesel ja fast sogar schon auf.

In der Bilanz von ‚Autostrade per l’Italia‘, dem Privatunternehmen, das 3.000 Kilometer Autobahn, einschließlich der gestern eingestürzten Brücke, ihr eigen nennt, steht eine eindeutige Zahl: ein Gewinn von 2,4 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 3,9 Milliarden Euro, was einer Umsatzrendite von 50% entspricht. Geld ist also wirklich im Überfluss vorhanden und der kontrollierte Abriss und Neubau der Unglücksbrücke über den Polcevera wäre zumindest finanziell absolut kein Problem gewesen. Logistisch selbstverständlich schon, aber das ist es jetzt natürlich erst recht.

Da auch niemand mehr mit risikofreudigen Konstruktionen beeindruckt werden muss, um die nationale Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, wäre es diesmal auch absolut ausreichend, ein langweiliges, konventionelles Bauwerk zu errichten, das sich zur Abwechslung einmal wieder mit einer selten gewordenen Eigenschaft auszeichnet, nämlich schlichte Funktionalität bei nahezu unbegrenzter Haltbarkeit.

Dass das geht, haben unsere römischen Vorfahren bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Deren Brücken sind auch nach fast zweitausend Jahren oft noch gut nutzbar, aber damals gab’s eben auch noch keine börsennotierten Straßenbaugesellschaften. Übrigens ist auch noch kein Bekennerschreiben des IS bekannt geworden; wenigstens etwas.

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Populistisches Clownsmärchen

Die wohl am häufigsten strapazierte Metapher, mit denen die deutschsprachigen Medien ihre Zuschauer, Hörer und Leser seit dem 04. März 2018 genervt haben, dürfte neben “dem Erdbeben” wohl “der Tsunami” gewesen sein, der angeblich in Italien keinen Stein mehr auf dem anderen gelassen haben soll. Für einen “Erdrutschsieg” war das Wahlergebnis nicht eindeutig genug, denn schließlich musste sich Di Maio mit Renzi und Berlusconi die Stimmentorte – extrem grob beschrieben – zu je einem Drittel aufteilen.

Da ein klarer Wahlsieg also anders aussieht, ist es demzufolge auch noch nicht ganz sicher, wen der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella mit der Bildung einer Regierung beauftragen wird. Aber es spricht doch einiges dafür, dass es Luigi Di Maio von den Fünf Sternen sein könnte, dem die Verantwortung hierfür übertragen werden wird.

In Deutschland, Südtirol und Resteuropa berichten ALLE Medien (mit sehr seltenen Ausnahmen) äußerst fleißig über die Finanzmärkte beunruhigende (HaHaHa!) Entwicklung in Italien. Fast kein Redakteur versäumt es, die Bewegung, die vor knapp zehn Jahren von Beppe Grillo ins Leben gerufen wurde, als “populistisch” zu diskreditieren und ihren Gründer entweder als einen “Komiker” oder gar als “Clown” herabzusetzen und verächtlich zu machen.

Titelblatt der Ausgabe Nr. 10

Titelbild vom ff-Wochenmagazin am 08.März 2018

Beides ist ebenso böse wie falsch und gerade die Deutschsprachigen, die völlig zu Recht sehr stolz auf ihre wunderbare Sprache sein dürfen, obwohl diese zwar oft recht sperrig und unschön klingt, aber durch mannigfaltiges Vokabular beachtliches Potenzial zur linguistischen Präzision ermöglicht (ja nachgerade fordert), gerade diese deutschsprachigen Journalisten sollten bei der Klassifizierung der Fünf Sterne und ihres Spiritus Rector ihre Worte doch erheblich sorgfältiger wählen.

Denn erstens ist Beppe Grillo weder ein Komiker noch ein Clown. Weil das nämlich beides, zumindest im deutschen Sprachraum, völlig unpolitische Spaßmacher sind, die, wenn’s gut läuft, einen Salto aus dem Stand vorführen und wenn’s blöd läuft, einem eine Torte ins Gesicht drücken. Doch weder Salto noch Torte sind von Grillo bislang überliefert.

Fips Asmussen
Zotenkönig Fips Asmussen: („Kommt ’ne Frau beim Arzt…“)

Der Mailänder ist per Definition in Wirklichkeit ein politischer Kabarettist! Das ist auf der fein ziselierten Humoristen Skala, die irgendwo ziemlich weit unten bei Mario Barth und Fips Asmussen anfängt, über Otto Waalkes und Loriot weiter nach oben führt und schließlich ganz, ganz weit oben bei Volker Pispers, Georg Schramm, Max Uthoff etc. endet, also so ziemlich das Edelste, was ein Satiriker, der seine Texte auf der Bühne – vor meist akademischem – Publikum vorträgt, überhaupt erreichen kann.

Wer das nicht auf Anhieb glaubt, dem sei ein früher Mitschnitt (1998) von Grillos Kabarettprogramm auf YouTube empfohlen, in dem er wahrlich grandiose, extrem  systemkritische Texte vorträgt, von denen der Kabarettkenner annehmen könnte, Grillo hätte damals schon zusammen mit Pispers, Schramm und Uthoff nächtens am Küchentisch gesessen und die Texte gemeinsam bei zwei, drei Flaschen Rotwein mit feiner Feder formuliert.

 

Volker Pispers

Erste Liga: Politischer Kabarettist Volker Pispers

Deutsche Kabarettisten gehen übrigens bedauerlicherweise grundsätzlich nicht in die Politik, weil sie genau wissen, dass sie im Land von Kant und Tucholsky allenfalls noch auf mitternächtlichen Nischensendeplätzen geduldet werden, wenn die meisten Deutschen sowieso schon angetrunken auf der Couch dämmern und den Interessen von Friede Springer und Liz Mohn nicht mehr gefährlich werden können.

Dass Beppe Grillo sich seinerzeit für einen anderen Weg entschieden und den Weg in die Politik gefunden hat, das ist ihm hoch anzurechnen und man sollte sich als deutscher Bildungsbürger wenigstens für den Bruchteil einer Sekunde kurz geschämt haben, dass Grillos deutsche Kollegen nicht den gleichen Mumm hatten wie er.

Im Übrigen ist Grillo auch schon fast wieder Geschichte, denn er hat den Stab längst auch offiziell schon an den neuen politischen Chef Luigi Di Maio weitergereicht, weshalb der Gründer mehr und mehr nur noch im Hintergrund wahrgenommen werden kann. Der Generationenwechsel ist nach knapp zehn Jahren also vollzogen, doch von der schreibenden Zunft wird dieser Umstand eigenartigerweise ignoriert.

Die zweite große Unrichtigkeit, die hartnäckig über den M5S verbreitet wird, ist, dass es sich angeblich um eine “populistische Partei” handeln soll. Allerdings sind die Fünf Sterne Bewegung bei sorgfältiger Betrachtung tatsächlich weder eine Partei im klassischen Sinne und vor allem sind sie erst recht nicht populistisch.

Das wesentliche Merkmal einer populistischen Partei ist das Anbieten von einer, maximal zwei Antworten auf nahezu alle möglichen Fragestellungen unserer Zeit, von der Altersver- über die Müllentsorgung bis zum Zentralen Raketenabwehrprogramm im Weltall. So auch 2018 im italienischen Parlamentswahlkampf der eigentlichen Clowns:

Silvio Berlusconi: “Gebisse für alle!”

Matteo Salvini / Renzi: “Ausländer raus! / Schrotthändler rein!“

Solche populistischen Parolen ziehen zwar noch recht gut bei den eher schlichten Gemütern, bringen in der Regel aber dauerhaft immer weniger Wählerstimmen. Denn diejenigen Wähler, die noch einigermaßen bis drei zählen können und das ist glücklicherweise immer noch die Mehrheit, denen wird auch nach nur ganz wenig Nachdenken bewusst, dass man mit Populismus eben doch kein Land führen kann.

Vom MoVimento-5-Stelle dagegen gibt es auf komplexe Fragen eben keine eindimensionalen Antworten. Dort Mitglied zu werden und zu bleiben, dort mitzuarbeiten an komplexen Lösungen zu komplexen Problemen, das ist richtig anstrengend und man muss sich darüber wundern, wie die Bewegung es trotzdem schafft, so viele Aktivisten für die Unterstützung ihrer politischen Arbeit zu gewinnen.

Im Wahlkampf zur Parlamentswahl am ersten Märzsonntag hat Di Maio ein Zukunftsprogramm von zwanzig Punkten (!) auf zwei DIN-A4 Seiten verteilt, die man sich überhaupt erst einmal Punkt für Punkt in Ruhe durchlesen musste. Es gab sicherlich nicht wenige, die erst einmal eine gute Stunde Zeit investieren mussten, um zu verstehen, worum es der Bewegung denn im Detail überhaupt geht.

Wahlprogramm 2018

Wahlprogramm 2018, Fünf Sterne Bewegung

In diesen zwanzig Punkten war nichts zu finden, was es verdient hätte, mit “populistisch” im Sinne von “simple Antworten auf hochkomplexe Fragen”, gebrandmarkt zu werden.

Es sei denn natürlich, man definiert mit “Populismus” fälschlicherweise eine Politik, die ausschließlich dem Allgemeinwohl der breiten Bevölkerung dient. Eine Politik, die nicht mehr nur einige wenige Systemsüdtiroler mit Thermen-, Landebahn-, Kubatur- und Luxusrentenbedarf alimentiert. Aber erstens greift das zu kurz und zweitens ist die 5SB-Programmatik damit auch nicht genügend beschrieben.

Als Wahl-Italiener mit bayerischem Migrationshintergrund wird man ziemlich neidisch, ja fast schon ärgerlich, dass es in Deutschland keine vergleichbare Bewegung gibt. Italien hingegen hat hier wirklich allen Grund sehr froh zu sein. Froh über eine politische Kultur, die eine M5S nicht nur ermöglicht, sondern dann auch noch wählt. Auch nördlich des Brenners gäbe es vermutlich ein Wählerpotential von zwanzig, dreißig oder mehr Prozent für eine ähnliche Bewegung. Die Piraten hätten vor zehn Jahren für einen klitzekleinen Moment die Gelegenheit gehabt, etwas Vergleichbares auf die Beine zu stellen, haben damals aber so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann und diese Chance grandios versemmelt.

Wenn sich so viele Bürger mehr und mehr von den großen Volksparteien abwenden, wenn diese immer mehr Konsens einbüßen, dann wäre es absolut verantwortungslos, diese Bürger einfach nur den Rechtsparteien mit ihren superpatriotischen Schreihälsen zu überlassen. Dass sich aus der Mitte der Gesellschaft eine direktdemokratische Bewegung wie die Fünf Sterne formiert, die von unten herauf versucht, ein neoliberales Gesellschaftssystem mit ihrer Finanzvormacht umzukrempeln, dass ist wahrlich ein sehr spannendes politisches Projekt, das höchsten Respekt verdient.

Man wird sehen, wie Di Maio das Wählervertrauen nun umsetzen wird und inwieweit er es schaffen kann, der politischen Kaste der Selbstversorger den Stecker zu ziehen. Wenn es ihm gut gelingt, dann könnte dieses Projekt Vorbildcharakter für ganz Europa haben und vielleicht schwappt seine Bewegung ja sogar über die Alpen, um ähnliches auch in Deutschland und in den anderen europäischen Staaten zu bewirken.

Und spätestens dann sollte das Märchen vom populistischen Clown endgültig auf dem Leitartikel-Friedhof, direkt neben Franz-Josef Wagner & Co., begraben werden.

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Huschhusch, sans weg…

NotenOhDuMeinOesterreich

Österreich teilt –grafisch gesehen- wie ein Keil die beiden wohlhabenden und wunderbar funktionierenden Makroregionen Süddeutschland (40 Mio. Einwohner) und Oberitalien (30 Mio. EW). Und ist im Vergleich zu den beiden anderen ziemlich unbedeutend, wenn nicht sogar rückständig, was die technologischen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sportlichen Aspekte angeht.

Mit gerade einmal achteinhalb Mio. besitzt die rot-weiß-rote Alpenrepublik auch keine signifikante Relevanz, was die Einwohnerzahl betrifft. Um es auf die Fußballwelt herunter zu brechen: wenn der FC Bayern, Juventus Turin und Rapid Wien ein Dreierturnier ausspielen würden, dann wäre relativ klar, wer am Ende den letzten Platz einnehmen würde. Dass man nun unbedingt vom Außenseiter einen Mitgliedsausweis haben möchte (weil der Opa da vielleicht irgendwann früher auch mal war), dann ist das jetzt nicht weiter verwerflich, ja eher fast ein wenig rührend.

Dass man aber mit diesem Randthema „Doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler“ die Zeitungsseiten über Wochen voll schreibt, ist schon recht anstrengend, weil nämlich dort besser die wichtigen Dinge des Lebens behandelt werden sollten, die eben nicht nur ein paar Handvoll Superpatrioten umtreiben. Grundsätzlich sei natürlich jedem Bürger das Recht auf Doppelte Staatsbürgerschaft zugestanden, sofern er umzieht und dauerhaft im Ausland lebt, allein schon wegen des damit einhergehenden Wahlrechts.

Auch ich freue mich, im Frühjahr zusätzlich zu meinem deutschen noch den italienischen Pass zu erhalten, um endlich auch an die hiesige Wahlurne zu dürfen. Dass man jedoch – ohne Umzug – eine zusätzliche Staatsbürgerschaft, sozusagen aus der Ferne erhalten soll, ist aus mehreren Gründen relativ absurd. Und dass es dabei auch noch um den Pass für einen doch irgendwie ziemlich merkwürdigen Operettenstaat geht, macht das Ganze auch nicht besser, im Gegenteil.

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Arnos Time Tunnel


Das üble Krisenmanagement der Südtiroler Landesregierung zu den Aktivitäten der Pestizidtirol-Anarchos befördert einen direkt zurück ins Bayern der 1980er Jahre.

Harald Schmidt, der große Satiriker und Late-Night-Talker im Ruhestand hat während einer Podiumsdiskussion der Bertelsmann Group im Jahre 2002 seinem Kollegen Günther Jauch und dem Grass-Biografen Michael Jürgs humorvoll erklärt, mit welchen beiden Arten von Reaktionen man rechnen muss, wenn man mittels Satire andere durch den Kakao gezogen hat:

harald_schmitt.jpg
BMG, Zeitstempel 38:45

„IKEA z. B. war jedes Mal extrem cool und hat immer, nachdem sie Thema bei uns waren, angerufen und gefragt, ob sie nicht eine Kassette haben können, um sie ihren Mitarbeitern zu zeigen. Firmen, die jedoch den Insolvenzverwalter schon mit im Urlaub haben (gemeint war damals der Münchner Handtaschenhersteller MCM), lassen fünfzigseitig New Yorker Anwaltskanzleien schreiben: ‚Wir sind die Besten und wenn Sie noch einmal behaupten, unsere Koffer kommen mit Beulen vom Band, dann fordern wir lebenslänglich‘.“

Fünfzig Seiten Juristendeutsch werden es mit Sicherheit nicht werden, die den Aktivisten des Umweltinstituts München e.V. wohl demnächst ins Haus flattern werden, denn derzeit ist das Plakat im Untergeschoss des Stachus‘ sowieso nicht mehr zu sehen. Angeblich liegt eine rechtliche Androhung gegen den Kölner Außenwerbungs-Dienstleister Ströer vor, was der Grund dafür sein könnte, dass sich die angemietete Plakatwand nicht mehr dreht und deshalb nur noch statisch die Werbung einer Fastfood-Kette dauerhaft sichtbar ist.
Lisa Maria Gasser: Gestopptes Plakat

Man fühlt sich ins Jahr 1986 zurückkatapultiert, als sich der Bayerische Rundfunk aus dem laufenden (!) ARD-Abendprogramm ausblendete, um eine unbequeme Ausstrahlung von Dieter Hildebrandts Kabarettsendung „Scheibenwischer“ zu verhindern. Lisa Fitz sollte dort im Text „Der verstrahlte Großvater“ die Geschehnisse der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl satirisch aufarbeiten. Dem damaligen Fernsehdirektor des BR passte dieser Text jedoch überhaupt nicht und so sahen die Zuschauer in Bayern knapp eine Stunde lang nur eine schwarze Mattscheibe, sofern sie die ARD als Kanal auswählten. Zensur von höchster Ebene also, wie man sie sich heute eigentlich nur noch in totalitären Staaten wie Nordkorea vorstellen kann, oder eben in Südtirol.

Sondermüll (Der verstrahlte Großvater, 1986), von Werner Koczwara mit Lisa Fitz

 

In jenen ereignisreichen Tagen Anfang Mai 1986 wurde auch das Umweltinstitut München e.V. als Reaktion auf den Super-GAU im sowjetischen Kernkraftwerk gegründet. Karl Bär, der heutige Kopf des UIM war damals noch ein Säugling, gerade ein gutes Jahr alt. Möglicherweise haben ihm seine Eltern irgendwann einmal erzählt, dass Zensur und Repression in Bayern auch einer anderen Künstlergruppe widerfahren ist: den Gebrüdern Well von der Biermös Blosn, die u. a. mit ihrem Engagement im Widerstand zur Errichtung einer nuklearen Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf den Bayerischen Rundfunk veranlasst hat, die Kabarettgruppe mit einem Sendeboykott zu belegen.

Wenn man sich diese Geschehnisse von damals heute -nach gut dreißig Jahren- wieder einmal ins Gedächtnis ruft, dann kommt man sich irgendwie fast so vor, als würde man seinem Nachwuchs vom Weltkriegs-Schützengraben erzählen, so weit ist das alles schon weg und so verblasst sind schon die Erinnerungen daran. Umso kurioser, ja nahezu anachronistisch mutet es nun an, wenn man hört und liest, dass es den Münchner Umweltaktivisten im Jahre 2017 in Südtirol nun ähnlich ergeht, wie den bayerischen Freigeistern in den Achtzigern: Man versucht sie behördlich einzuschüchtern und zieht ihnen erst einmal den Stecker.

Biermösl Blosn – Bauernregeln

 

Die bayerische Spezl-Wirtschaft unter Franz-Josef Strauß hat sich viele Jahre lang die Obrigkeitshörigkeit und das Duckmäusertum von großen Teilen der Bevölkerung zu Nutze gemacht, um ein bedenkliches Machtvakuum zu generieren, wie man es heute leider in ähnlicher Form noch in Südtirol vorfindet. Dieses Vakuum beginnt sich glücklicherweise mehr und mehr aufzulösen, auch dank solcher Aktionen wie der des UIM.

Man kann nur hoffen, dass sie sich nicht entmutigen lassen vom ebenso lähmenden wie überkommenen „System Südtirol“ und ihren Weg genauso beharrlich und konsequent gehen, wie ihre Vorfahren seinerzeit in Bayern. Die Geschichte bietet in jedem Fall eine Mut machende Orientierungshilfe, denn alle oben genannten Künstler sind mittlerweile rehabilitiert und genießen sowohl im Volk -als auch beim Staat- höchstes Ansehen.

Man braucht halt nur Geduld und einen langen Atem!

Und bei alledem kann man den Südtiroler Grünen die Frage wirklich nicht ersparen, weshalb diese Aktionen eigentlich nicht von denen kommen, denn das ist doch schließlich deren Kernthema? Fehlt’s denn schlicht an Kreativität oder ist die Angst vor der Kanzlei Brandstätter möglicherweise einfach nur zu groß?

Und um auf Harald Schmidt zurück zu kommen:

Arno Kompatscher sollte jetzt Grandezza beweisen und die Firma Ströer veranlassen, das Pestizidtirolplakat umgehend wieder sichtbar werden zu lassen, denn eigentlich sollte er doch auch eher cooler Schwede sein als hysterische MCM-Tussi. Und in dreißig Jahren schmunzeln wir sowieso alle gemeinsam über die Geschehnisse vom August 2017.

So wie jetzt über den 22. Mai 1986, als in Bayern die Mattscheiben schwarz blieben.

 

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In Anlehnung an Katja Berlins wunderbare Diagramme „Torten der Wahrheit“ aus der ZEIT:“Torte der Sturheit“ von Harry Dierstein. (Ein rein subjektive, sarkastische Empfindung. Keine empirische Erhebung.)
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Man spricht deutsh?

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Bozen muss sicherlich nicht „deutscher“ werden, aber für Südtiroler, Italiener etc. wäre es durchaus von Vorteil, die Hochsprache anständig zu erlernen und anzuwenden.

Verehrter Herr Dr. Kollmann,

es war mir eine große Ehre, als deutscher (bayerischer) Ausländer am vergangenen Sonntag erstmals an der Bozner Bürgermeisterwahl teilnehmen zu dürfen. Das Motto, womit Sie in den Wahlkampf gezogen sind, nämlich dass Bozen „deutscher“ werde müsse, könnte nun natürlich vermuten lassen, dass nun gerade ich -als Ihr potenzieller Wähler- gut in Frage kommen könnte, aber da muss ich Sie leider enttäuschen. Es war mir nämlich eine ebenso große Ehre, stattdessen eine italienische Partei zu wählen, in der die beiden Landessprachen Italienisch und Deutsch wie selbstverständlich gleichberechtigt nebeneinander zur Anwendung gelangen können.

Ich schreibe Ihnen diesen Offenen Brief, weil ich Sie und Ihre Parteikollegen der Süd-Tiroler Freiheit mit einem konstruktiven Gedanken konfrontieren möchte, der aber möglicherweise anstrengend für Sie sein könnte:

Mit Ihrer patriotischen und spaltenden Sprachideologie schaden Sie den Südtiroler Kindern immens, denn diese beeinträchtigt sie in ihrer sprachlichen Entwicklung. 

Warum das so ist? Machen wir doch hierzu einmal folgendes Gedankenexperiment: Alle in Südtirol Neugeborenen, egal welcher Ethnie, wüchsen bis zum Alter von drei Jahren in ihrer Familie auf und lernten  zunächst 1) ihre jeweilige Muttersprache. Also: das Südtiroler Kind in Schlanders lernte den Südtiroler Dialekt,  das ladinische Kind in Wolkenstein lernte Ladinisch, das sardische Kind aus Cagliari lernte Sardisch und das Migrantenkind aus -von mir aus- Syrien lernte die arabische Sprache. Im Alter von drei Jahren kämen diese Kinder dann in einen zweisprachigen Kindergarten, in dem sie 2) die deutsche Hochsprache und 3) die italienische Hochsprache gleichberechtigt nebeneinander erlernen würden, die sie dann bis zum Alter von sechs Jahren ganz passabel und mit dem Ende der Grundschule dann annähernd fließend beherrschen würden.

D. h. alle vier Kinder wären im Alter von elf Jahren nahezu perfekt drei(!)-sprachig und könnten dann eine wirkliche Fremdsprache, nämlich Englisch, Latein, Französisch, Griechisch etc. erlernen. Das wäre dann auch das erste Mal für die Schüler mit einer tatsächlichen Anstrengung verbunden, denn bislang haben unsere vier Beispielkinder die anderen drei Sprachen ja eher spielerisch -sozusagen nebenbei- erlernt.

Mit Beendigung der Schulzeit hätten unsere Kinder dann eine linguistische Kompetenz, die im mitteleuropäischen Raum herausragend -wenn nicht sogar einzigartig- wäre, denn wer von unseren Nachbarländern kann schon mit einer nahezu flächendeckenden Vier- oder Fünfsprachigkeit punkten? Südtirol könnte sich in dieser Disziplin eine absolute Ausnahmestellung erarbeiten und es wäre darüber hinaus noch ein erheblich entspannteres Zusammenleben als bislang ermöglicht, denn endlich könnten sich die unterschiedlichen Volksgruppen in Südtirol einmal untereinander problemlos verständigen!

Eine wunderschöne Vision, oder? Aber warum ist es eigentlich bislang noch nicht so?

Das ist unter anderem -nicht nur, aber auch- die Schuld der Süd-Tiroler Freiheit und Ihnen, Hr. Dr. Kollmann! „Der Italiener“ wird die deutsche Sprache nicht besser erlernen können, wenn er weiterhin kaum jemanden findet, mit dem er sich auf Hochdeutsch unterhalten kann. Und „der Südtiroler“ wird Hochdeutsch niemals anständig lernen, solange Leute wie Sie ihm einreden, dass das, was er spricht, ja bereits deutsch sei, obwohl es das eben eigentlich nicht ist.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich finde den Südtiroler Dialekt wirklich wunderschön und mag ihn sehr, sehr gerne, denn er ist ja auch eine südbairische Mundart. Aber die Vernachlässigung der deutschen Hochsprache rächt sich spätestens dann, wenn Herr und Frau Südtiroler bei der staatlichen Zweisprachigkeitsprüfung nicht nur im Italienischen durchfallen, sondern leider auch viel zu oft im Deutschen.

Als wirklicher Patriot müssten Sie ihren Leuten eigentlich diese unangenehme Wahrheit offen ins Gesicht sagen. Stattdessen veranstalten Sie einen -in meinen Augen- völlig albernen „deutschen“ Wahlkampf und sind dann danach beleidigt, wenn noch nicht mal richtige Deutsche (wie z. B. ich) Sie wählen.

Ich habe im Frühjahr einen Vortrag von Ihnen zum Thema „Toponomastik“ im Bozner Kolpinghaus besucht, der mir sehr gut gefallen hat und ich konnte mich mit den allermeisten Gedankenansätzen von Ihnen, sofern es um die grundsätzliche Sinnhaftigkeit bzw. die linguistische Präzision der Toponomastik ging, fast hundertprozentig identifizieren. Leider waren Ihre Stimmbänder an diesem Abend krankheitsbedingt kaum einsatzbereit, denn sonst hätte ich gerne noch folgende zwei Fragen persönlich mit Ihnen erörtert:

„Wäre es nicht erheblich anständiger und zielführender, beim Thema „mangelnde Zweisprachigkeit“ zunächst vor der eigenen Türe zu kehren, anstatt immer wieder in die bequeme Opferrolle zu verfallen? Wie sollen die hier lebenden Italiener und Migranten denn eigentlich Hochdeutsch vertiefen, wenn sie so gut wie niemanden finden, mit dem sie überhaupt Hochdeutsch sprechen können?“

Ich freue mich auf Ihre geschätzte Antwort und darf Sie und Ihre Gesinnungsgenossen darüber hinaus noch höflichst ersuchen, von einer weiteren Herabsetzung der nichtdeutschen Volksgruppen abzusehen und stattdessen die Südtiroler dazu zu bewegen, endlich ordentlich Deutsch zu lernen, damit diese mit den anderen hochdeutsch sprechenden In- und Ausländern -im Sinne der Völkerverständigung- vernünftig kommunizieren können.

Mit freundlichen Grüßen

Harry Dierstein
Bozen

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500 Jahren Reinheitsgebot

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Das älteste Lebensmittelgesetz der Welt feiert heuer am 23. April einen ganz besonders runden Geburtstag.

Im (nicht immer) bierernsten Gespräch mit der angehenden Bierbrauerin Andrea Armellini gewährt Südtirols einzige weibliche angehende Brauerin und Mälzerin einen interessanten Einblick in ein faszinierendes Handwerk und einen zunehmend schwierigeren Markt.

Wer die propere Zwanzigjährige aus Lana das erste Mal trifft, ist sofort eingenommen von ihrem freundlichen Wesen und ahnt, dass sie sich bei ihrer Berufswahl nur unweit entfernt von den Themenbereichen „Lebensfreude“ und „Genuss“ orientieren konnte.

„Kurioserweise hat mir jedoch ausgerechnet Bier eigentlich nie geschmeckt und ich habe früher auch gar keines getrunken„ weiß Andrea ihren Zuhörer eingangs zu verblüffen. „Mich hat es jedoch sehr stark fasziniert, die sensorischen Facetten des Gerstentrunks auf einem wissenschaftlichen Weg zu ergründen und deshalb habe ich zunächst begonnen, mich mittels der Methodik der Sommeliere der Hopfenwelt zu nähern. “ Als „Südtiroler Bier Expertin“ darf sie sich mittlerweile sogar offiziell bezeichnen lassen, denn trotz ihres zarten Alters hat sie hierzu bereits eine Ausbildung absolviert und ist in der Lage, die unterschiedlichsten Biere professionell zu verkosten und qualitativ zu bewerten.

Was also in der Praxis bedeutet, einen kleinen Schluck Bier im Gaumen lediglich hin und her zu schwenken, zu kauen, dann zu ergründen, um ihn anschließend – nach der Geschmacksanalyse – ausgezutzelt zu schlucken. Für einen Bayern, der – kulturell bedingt – damit aufgewachsen ist, sich das Bier entweder in Halblitergläsern oder Maßkrügen zur Durschlöschung in den Schlund zu gießen, eine absolut sinnwidrige Vorstellung. Für eine Sommelière, wie Andrea Armellini, jedoch das Normalste der Welt.

„Bayern ist wirklich ein unglaublich interessantes Land, was die Braukunst angeht und es ist für mich wirklich sehr spannend zu beobachten, wie sich die drei rivalisierenden Brau-„Systeme“ am Markt behaupten können.“ Welche Systeme sind das? „Nun, da gibt es zum einen die Liga der ganz großen Industriebrauereien, die es in den letzten Jahren geschafft haben, mit einem unglaublichen Maß an Rationalisierung, aber auch mit erheblichem Werbeaufwand bzw. Brauereizukäufen ein einziges, großes Einheitsbier, das für den internationalen Massengeschmack sozusagen kulturkompatibel etabliert wurde, zu entwerfen und sehr erfolgreich zu vermarkten. Dieses Einheitsbier schmeckt eigentlich nach überhaupt nichts Besonderem mehr, denn die Industriebrauer haben in einem langwierigen „Designprozess“ alle geschmacklichen Ecken und Kanten komplett rundgeschliffen.“

Gibt es denn auch Industriebiere, die ihr gut schmecken?

„Eigentlich nicht, weil sie leider fast alle gleich langweilig schmecken. Falls ich mir jedoch einen Favoriten aussuchen müsste, dann würde ich gerne zum Augustiner-Bräu greifen.“ Die älteste (noch bestehende) Münchner Brauerei gehört mit 1,3 Millionen Hektolitern Ausstoß zu den ganz großen im Geschäft und genießt nicht nur in Bayern Kultstatus. Kurioserweise machen die Münchner keine Werbung und halten immer noch an der klassischen, sogenannten Euro-Flasche fest. In der Branche zwei absolute Ausnahmen.

„So richtig Spaß macht mir das Biertrinken aber viel mehr mit den kleineren Brauerei-Erzeugnissen. Denn, je kleiner eine Brauerei ist, desto eher lässt sich im Geschmacksfächer eine leckere Variante herausschmecken“. Leider sind gerade die kleineren und mittleren Brauereien extrem in ihrer Existenz bedroht, denn die Gefahr, von einer der großen Brauereien „geschluckt“ zu werden, ist nach wie vor sehr groß. Besser haben es da schon die Genossenschaftsbrauereien oder die kleinen Hausbrauereien, deren Zukauf für die Großen entweder rechtlich unmöglich oder aber wirtschaftlich zu unattraktiv ist.“

Ihre praktische Ausbildung absolviert die Maturantin derzeit in gleich zwei Südtiroler Betrieben: in der Brauerei Pfefferlechner in Lana und bei der AH-Bräu in Franzensfeste besteht für die Lananerin die einzigartige Möglichkeit, von anspruchsvollen Profis das schwierige Handwerk wie in einer Manufaktur zu erlernen.  „ Das Bierbrauen in einer Wirtshausbrauerei ist vergleichbar mit der individuellen Arbeit eines kleinen Dorftischlers. Unsere Biere dort schmecken zum Glück nicht jeden Tag gleich und wir haben außerdem in unseren kleinen Sudhäusern die Möglichkeit, ganz besondere und einmalige Spezialitäten zu brauen, die man nur bei uns in dieser Geschmackseinzigartigkeit bekommen kann.“

Das theoretische Wissen eignet sich die Bier-Expertin in der Münchner Berufsschule für die Brauer und Mälzer an, die sie im zweiwöchentlichen Blockunterricht mit Unterstützung der Provinz besuchen darf. „Ich bin dort die einzige Frau, denn mein Beruf ist natürlich eine absolut typische Männerdomäne“ lacht die Zwanzigjährige und fügt hinzu:   „Die Kunst des Bierbrauens ausgerechnet in München zu vertiefen, empfinde ich natürlich als Gottesgeschenk, denn bei den vielen Biergärten und der großen Angebotsvielfalt in der Millionenmetropole werden wir bei schönem Wetter natürlich häufig dazu verführt, immer mal wieder eine Maß zu verkosten.“

Wie sieht es denn jetzt eigentlich mit dem Deutschen Reinheitsgebot von 1516 aus? „Für mich persönlich ist es ein sehr wichtiges Gesetz und ich bin recht froh, dass es in Bayern und dem restlichen Deutschland noch diesen Stellenwert hat. Zwar ist natürlich der eigentliche Grund, weshalb man diese Vorschrift vor fünfhundert Jahre eingeführt hat, theoretisch weggefallen, denn es käme heute sicherlich niemand mehr auf die Idee, Ochsengalle, Eichenrinde oder Fichtenspäne zum Würzen zu verwenden, wie das seinerzeit üblich war. Aber die Industrie ist ja leider wirklich sehr erfinderisch, wenn es darum geht, sich Einsparungen hinsichtlich der Zutaten auszudenken.“

Dann hat sie wahrscheinlich mit der größten Südtiroler Brauerei auch so ihre Probleme? Schließlich verwendet die Brauerei Forst auch billigeres Maisgritz zur Herstellung, was nach dem lascheren italienischen Lebensmittelgesetz zwar erlaubt, in Deutschland jedoch verboten ist. „Ach, eigentlich finde ich es ja prinzipiell einen guten Ansatz, mal mit anderen Zutaten zu experimentieren, um damit auch mal neue Geschmacksergebnisse zu erzielen. Mich stört es viel mehr, dass man dort in Algund – wohl ebenfalls aus Kostengründen – lediglich Hopfenextrakt statt der hochwertigeren Hopfendollen oder –pellets einsetzt, denn das würden wir als Hausbrauer natürlich nie tun. Selbstverständlich ist es  nicht gesundheitsschädlich, wenn die Brauerei Forst zum Brauen Maisgritz und Hopfenextrakt einsetzt, aber mir persönlich schmeckt halt das Ergebnis einfach überhaupt nicht. “

Die Konsumenten sehen es offenbar anders, denn die Algunder sind in Norditalien marktdominant und verzeichnen immerhin ungefähr halb so viel Ausstoß wie die Münchner Augustiner-Brauerei. Glaubt sie denn, dass die Forst-Entscheidung für diese merkwürdige Zutat jetzt einem feinschmeckerischen Anspruch oder doch eher der sprichwörtlichen geldgierigen Schlitzohrigkeit einiger Südtiroler geschuldet ist? „Naja, so hart würde ich das jetzt nicht formulieren. Aber es liegt schon der Verdacht nahe zu vermuten, dass man sich wohl kaum für die Maisgritze entschieden hätte, wenn diese teurer als die traditionellen Zutaten nach dem Reinheitsgebot gewesen wäre“ mutmaßt Andrea.

Welches Bier einer mittelgroßen Brauerei schmeckt ihr denn eigentlich persönlich nun am besten? „Mein Freund kommt ja aus dem Fränkischen und deshalb habe ich dort oft die Gelegenheit, die lokalen Biere zu testen, die man eben nur dort in der Region bekommt. Das Schederndorfer-Bier ist mein lokaler fränkischer Favorit, aber insgesamt schmeckt mir von allen „mittleren“ Bieren das Tegernseer Hell mit Abstand am besten.“ Die Oberbayern sind mit gerade mal 120.000 Hektolitern Ausstoß zwar noch ein ziemlicher Geheimtipp, aber sie haben es sogar schon bis nach Südtirol geschafft.

Dass es im Biermarkt zunehmend schwieriger wird, ist der angehenden Bierbrauerin bewusst, aber sie lässt sich von düsteren Umsatzprognosen ob ihrer Berufswahl nicht verunsichern. „Langfristig wird sich Qualität und Einzigartigkeit immer durchsetzen“ ist sich Andrea sicher. „Auch wenn der Bierumsatz insgesamt stetig zurückgeht, so gibt es doch gerade bei den mittleren und kleineren Marktteilnehmern zum Teil zweistellige Zuwachsraten. „Die Kunden suchen immer mehr die Produktnische und möchten hochwertige Biere abseits vom Massengeschmack. Bier wird sicherlich immer getrunken werden und es liegt eben an uns Brauern, das entsprechende Angebot bereit zuhalten“

Hat sie denn schon konkrete Zukunftspläne für ihre Brautätigkeit? „Da meine große Leidenschaft im Brauen von handwerklich einwandfreien und einzigartigen Bieren liegt, kann ich mir derzeit überhaupt nicht vorstellen, einmal bei einer industriellen Großbrauerei zu arbeiten. Sicherlich wäre es für mich stattdessen sehr erstrebenswert, entweder in einer der zahlreich vorhandenen Hausbrauereien zu arbeiten oder einen recht kleinen Betrieb zu finden, um dort sehr hochwertige Biere zu kreieren. Momentan arbeiten wir an einem Konzept für „Bier und Schokolade“. Das klingt zwar im ersten Moment ziemlich absurd, aber ich bin mir sicher, dass das ein kulinarischer Volltreffer wird. Erste Zweifler habe ich bereits überzeugen können.“ Was genau das sein soll? „Zuviel möchte ich noch nicht verraten, aber es wird in jedem Fall eine innovative Delikatessenverköstigung auf höchstem Niveau werden.“

Man darf gespannt sein, ob soviel kreativer Power und schöpferischer Schaffenskraft und man wird beim Zuhören das Gefühl nicht los, dass man künftig noch viel lesen und hören wird, von Südtirols einziger weiblicher Brauerin und Bier-Expertin, Andrea Armellini.

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EXPO still gestanden! Wasser marsch!

Expo
Das wichtigste Nahrungsmittel wurde von den EXPO-Veranstaltern entweder vergessen oder aber gar verdrängt: schlichtes Leitungswasser. Warum eigentlich?

Es gibt heuer wirklich sehr viele gute Gründe, die Weltausstellung 2015 in Mailand zu besuchen, denn dort geht es um nicht weniger, als um die Zukunft der globalen Ernährung. Die Veranstalter wollten die einstige „Leistungsschau“ eher zu einem „Diskussionsforum“ umgestalten und haben dabei aber das wichtigste Nahrungsmittel entweder vergessen oder aber gar verdrängt: sauberes Brunnenwasser, auch genannt Leitungs- oder Hauswasser.

Vielleicht waren meine Erwartungen einfach zu groß, mit der ich in Mailand das Eingangstor zum Messegelände passiert habe, vielleicht habe ich deshalb insgeheim schon geahnt, dass ich eines meiner Lieblingsthemen, nämlich das sogenannte„Leitungswasser“ dort nur sehr stiefmütterlich behandelt sah. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Nicht trinkbares Wasser als Architekturdekoration in Form von Fassadenvorhängen, Springbrunnen, Wasserspielen, Planschbecken und Kanälen bzw. dann trinkbar in umweltschädlichen Plastikflaschen zum Kaufen, gibt es auf der Messe natürlich im nahezu unendlichen Überfluss.

Wer aber, so wie ich, gerne frisches Brunnenwasser in seine mitgebrachte Mehrwegflasche füllt, der muss lange suchen und hierzu weite Wege auf dem Gelände zurücklegen. Das kann jetzt ein Versehen der Veranstalter sein, aber möglicherweise offenbart sich hier schon die Vision der globalen Großkonzerne, die uns ja gerne glauben machen wollen, dass das, was quasi gratis aus der Leitung sprudelt von minderer Qualität sei, als gekauftes und auf der Autobahn transportiertes Trinkwasser in Plastikflaschen.

Der Verdacht, dass die großen Nahrungskonzerne hier im Hintergrund der Messekonzeption ordentlich mitmischen, erhärtet sich nach dem Betreten des Schweizer Pavillons. Als einziges Land hat die Schweiz die Versorgung mit Trinkwasser zu ihrem zentralen Thema gemacht. Unter dem Motto „Water for Europe“  findet der Besucher im Inneren des düster beleuchteten Pavillons eine sinnlose Naturstein-Installation, mit der veranschaulicht werden soll, dass Wasser als Regen von oben auf die Schweizer Berge tropft, bevor es später dann in verschiedene Flüsse fließt. Da wäre man ja von alleine auch nie drauf gekommen.

Erst beim Verlassen des Schweizer Pavillons entdeckt der -ob dieser Sensation- verwirrte Besucher auf Hinweisschildern, wer sich für diese didaktische Bankrotterklärung zuständig fühlt und es ist beileibe keine Überraschung : Der weltgrößte Lebensmittelkonzern, die Schweizer Firma Nestlé, die sich in den vergangenen Jahren bereits in zahlreichen Ländern die Wasserrechte erworben hat, outet sich unverforen direkt: „Nestlé welcomes you to Feed Your Mind“ verkünden Informationstafeln am Seitenrand des Schweizer Pavillongrundstücks überaus anmaßend.

Leitungswassertrinker wie ich, die gerne frisches Brunnenwasser trinken, gehören zu den natürlichen Feinden des Food-Giganten, da wir als Konsumenten ausfallen und damit nicht zur Renditesteigerung beitragen können. Der Nestlé-Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe erklärte im Fernsehinterview unmißverständlich, dass er Wasser nicht für ein öffentliches Gut hält, sondern, dass dieses idealerweise komplett privatisiert und den Regeln des freien Marktes unterworfen werden sollte. Wie das dann aussieht, wenn Nestlé in Afrika fremde Quellen abschöpft, um es dann gewinnorientiert bei uns zu verkaufen, läßt sich in diversen ARD-Dokumentationen bereits anschauen.

Wenn man so will, ist das also die eigentliche H2O-Message der Konzerne, die von dieser EXPO ausgehen soll: „Wasser ist eigentlich ausreichend vorhanden und wir können es zur allgemeinen Belustigung und Unterhaltung in Fontänen und Kaskaden durch die Luft wirbeln lassen. Wasser zum Trinken in Plastikflaschen ist ebenfalls ausreichend vorhanden und du kannst es jederzeit von uns abgepackt zum Literpreis von ca. 3 Euro käuflich erwerben. Willst Du hingegen frisches Brunnenwasser, so wie zu Hause, dann musst du suchen und dich auf einen langen Weg machen und dich am Ende in eine Schlange mit vielen anderen anstellen.“

Für einige Völker ist diese tägliche Wassersuche ja bereits schon bittere Realität und Nestlé ist nicht ganz unschuldig an dieser Situation. Derzeit wundern sich viele Einheimische, weshalb eigentlich so viele Flüchtlinge zu uns kommen. Neben Krieg, Not und Elend ist auch Wassermangel häufig eines der Fluchtmotive, an denen wir, die reichen Industrienationen, nicht ganz unschuldig sind. Ich wundere mich überhaupt nicht, dass diese Menschen zu uns kommen. Mich wundert eher, dass sie noch so freundlich sind und uns noch demütig anlächeln. Ich hätte großes Verständnis dafür, dass sie uns einfach ihre Verachtung spüren lassen, nachdem wir ihnen, unter anderem durch Nestlé, ihre Lebensgrundlage zerstört haben und sie dadurch zur Flucht zwingen.

Durch unser Konsumverhalten können wir unmittelbar dazu beitragen, dass es für Firmen wie Nestlé künftig nicht mehr so lukrativ sein könnte, fremdes Trinkwasser in Plastikflaschen abzupacken, zu verschiffen und zu verkaufen. Den Ängstlichen unter uns, denen unser Hauswasser vielleicht nicht ganz geheuer ist, kann der Verfasser dieser Zeilen versuchen mit seiner bisherigen Lebenserfahrung sämtliche Bedenken zu nehmen: Ich trinke seit über dreißig Jahren fast ausschließlich Leitungswasser (und zwar überall (!) in Europa), habe dadurch ein unerschütterliches Immunsystem, keine Allergien und bin nie krank.

Weshalb so viele Konsumenten, auch die mit einer ökosozialen Grundhaltung, Trinkwasser in Plastikflaschen kaufen, das ist für mich unerklärlich und lässt sich rational kaum erklären. Trinken wir doch bitte lieber öfter unser feines Südtiroler oder Münchner Hauswasser und wir werden merken, dass uns nichts fehlen wird, aber stattdessen der Müllberg in der Küche deutlich schrumpft.

Zur EXPO sollte man natürlich trotzdem fahren, alleine schon wegen der fantastischen Atmosphäre und dem globalen Empfinden, dass nämlich die ganze Welt hier um einen herum versammelt ist. Die EXPO ist ja in erster Linie auch ein Architekturfest und es lohnt sich schon alleine deshalb der Eintritt, nur um zu bestaunen, was den kreativen Köpfen weltweit wieder an Pavillonkreationen eingefallen ist. Ob man dann noch darüber hinaus etwas an Erkenntnissen für eine bessere Welt mitnimmt, bleibt ja jedem selber überlassen und das Ernährungsthema bietet ja eigentlich mannigfaltive Ansätze für Diskussionen.

Beim Thema Trinkwasser hat die EXPO in meinen Augen leider komplett versagt und es liegt der Verdacht nahe zu vermuten, dass dahinter leider (ein) System steckt.

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Danke an alle Einheimischen,

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die gegen die hiesigen Rassisten schreiben.

Mit der Facebook- Seite „Iats reichts“ geht‘s mir wie bei einem schlimmen Unfall oder beim versehentlichen Einschalten von Prekariatsfernsehen. Man muss trotzdem hinschauen, obwohl man es ja eigentlich gar nicht sehen möchte, weil man ja weiß, dass es falsch ist, sich das anzusehen.

Ich bin seit der ersten Stunde „Iats reichts“-Mitglied, weil ich wissen wollte, ob und wenn ja, in welchem Ausmass sich meine Befürchtungen von Mitte Januar denn bewahrheiten würden und meine Befürchtungen wurden leider bei weitem „übererfüllt“. Ich lese jetzt seit ungefähr sechs Wochen nahezu täglich auf deren Seite die allermeisten Posts  und bin mehr als entsetzt über das, was dort von den Einheimischen an rassistischem Dumpfsinn alles ausgekübelt wird. Noch mehr entsetzt bin ich, dass das in der Mehrzahl recht junge Menschen zu sein scheinen, vielleicht so zwischen zwanzig bis dreißig Jahre alt. Und bei den allermeisten kann ich eigentlich keine Existenznot erkennen, sondern allenfalls Engstirnigkeit und mangelnde Bildung, in jedem Fall aber linguistische Insuffizienz.

Ab und zu gibt es ein kleines Hoffnungsschimmerchen in Form von aufgeklärten Jugendlichen (teilweise erst 16 Jahre alt), die dann versuchen etwas Vernunft in die Diskussion zu bringen, was aber leider von den Admins gnadenlos gelöscht wird. (Im Gegensatz zu den Law-and-Order Posts der rechtspopulistischen Parteien, die NICHT gelöscht werden, obwohl sie mit den Zielen des Seitenbetreibers eigentlich auch nichts zu tun haben).

Ich komme ja aus dem Land, in dem die Menschenverfolgung und Menschenvernichtung industriell perfektioniert wurde und in dem trotzdem schon wieder eine PEGIDA aufflammen kann, in der der gleiche Mob mitläuft, der Hitler damals an die Macht geschrieen hat, und das heute aber „Spaziergang“ nennt. Solche Idioten wird es immer geben und ich bin als Münchner ein kleines bisserl stolz darauf, dass die vielen, vielen Gegendemonstranten den Rassisten dort die Luft rausgelassen haben und PEGIDA nach nur einem halben Jahr eigentlich keine Rolle mehr spielt.

Diese Gegenbewegung vermisse ich leider in Südtirol nahezu komplett und diese Gegenbewegung muss aber genauso von innen kommen, denn das können wir Ausländer weder leisten und schon gar nicht bewirken.

Beim Südtiroler Frühling bin ich im Mai 2014 auf deren Facebookseite über den Satz von Astrid Weinreich gestolpert, nämlich dass „die Südtiroler sowieso ALLES Rassisten seien“. Der junge Mann, der ihr damals zusammen mit mir sehr vehement widersprochen hat, Lukas Rier, ist leider -wie so viele andere kluge Köpfe- jetzt im Ausland. Es macht mich schon ziemlich hoffnungslos, dass sich insgesamt nur so wenige gegen diese vielen hiesigen Rassisten wehren und ich denke mir dann manchmal, ob Astrid Weinreich vielleicht doch recht hatte? Vielleicht sollte ich auch einfach nur aufhören, diese „Iats reichts“-Seite zu lesen….?!

Jedenfalls danke ich allen von Herzen, die sich in den Posts gegen die Rassisten wehren und damit eine kleine Kerze der Mitmenschlichkeit anzünden.

Und noch ein kleiner Trost: Diejenigen, die uns für unsere humane und christliche Grundeinstellung versuchen mit dem Etikett „Gutmenschen“ zu diskreditieren, die nenne ich dann konsequenterweise einfach „Schlechtmenschen“, gell Sigmar Stocker, Sven Knoll und Andreas Pöder?

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